Ratgeber

Warum wir einen anderen Lebensstil brauchen

Vor zwei Jahren einigte sich die Vollversammlung der Weltgesundheitsorganisation WHO auf eine weltweite Strategie für Ernährung, körperliche Aktivität und Gesundheit. Mit diesem Entwurf reagierte die WHO auf einige besorgniserregende Nachrichten: Erstmals in der Geschichte der Menschheit gibt es ebenso viele überernährte wie unterernährte Menschen auf der Welt – das macht jeweils 1,2 Milliarden. In Deutschland betrifft es sogar fast die Hälfte seiner Bewohner: Die Mikrozensusbefragung von 2003 ergab, dass 41 Prozent der Frauen und 58 Prozent der Männer unter Übergewicht leiden. Dabei liegen die einen mit ein paar optisch noch annehmbaren Kilos über dem vom Hausarzt empfohlenen Soll, die anderen schleppen einen Zentner zu viel mit sich herum. Gegenüber der letzten Erhebung aus dem Jahr 1999 entspricht dies einer Zunahme um einen Prozentpunkt bei Frauen und zwei Prozentpunkte bei Männern. Zwar liegen die Deutschen auf der Weltrangliste der Schwergewichtigen noch im Mittelfeld, im europäischen Vergleich aber liegen sie weit oben!
Diesen Zahlen zum Trotz sind 80 Prozent der Deutschen aber davon überzeugt, so eine Studie des Statistischen Amtes der Europäischen Union, dass sie sich gesund ernähren. Ständig wechselnde Ernährungsmoden scheinen zu einer Art von kollektiver Selbstüberschätzung zu führen. Schließlich gibt es heute fast keine Nahrungsmittel mehr, die nicht schon einmal verboten und anschließend wieder empfohlen wurden. So gilt der ehemalige »Wasserräuber« Kaffee heute als Schutz vor Krebs und Diabetes. Die vormals hochgelobte Vollkorn- und Getreidewelle gilt nur als bedingt empfehlenswert, da sie zur Verdauung einen robusten Muskelmagen erfordert. Oder erinnern wir uns die Empfehlungen der Low-fat-Lehre, ohne Fett und mit reichlich Kohlenhydraten schlank und glücklich zu werden. Heute weiß man, dass eine solche Kost verantwortlich für Übergewicht und Diabetes sein kann.
Ernährung und Wohlstand hängen eng miteinander zusammen. Heute ist die Ernährungslage für uns Menschen in den westlichen Ländern so gesichert wie nie zuvor. Wir leben in verführerischem Überfluss. In den Industriestaaten muss sich heute kaum jemand mehr Sorgen machen, ob, wann und wie er satt wird. Das wiederum wirkt sich auf bestimmte gesellschaftliche Erscheinungen aus, wie etwa das Auftreten von Zivilisationskrankheiten. Selbst in manchen Entwicklungs- und Schwellenländern, wie Mexiko oder Indien, taucht mittlerweile das merkwürdige Phänomen von Hungererkrankungen auf der einen und Fettsucht auf der anderen Seite auf. Das Vordringen der Fast-Food-Ketten auch in Regionen, in denen, wie in Asien, der Großteil der Bevölkerung bisher schlank war, lässt die Sozialbudgets explodieren. Ein allgegenwärtiges, massives Marketing wirbt für eine mit Zucker und Fett gespickte Ernährungsweise. Kombiniert mit kaum vorhandener körperlicher Anstrengung im Alltag sorgt sie dafür, dass heute schon 5 Prozent der Menschheit so dick sind, dass sie laut WHO medizinische Behandlung brauchen.
Die heute üblichen Bewegungsmangelerscheinungen werden durch Autos, Fahrstühle, Fernsehen und Berufe, die hauptsächlich im Sitzen ausgeübt werden, ausgelöst. Hinzu kommt notorischer Zeitmangel, der die Menschen langsam aber sicher matt setzt. Im Lauf der letzten fünfzig Jahre haben wir mit einem solchen Lebensstil sukzessive die Voraussetzungen für eine regelrechte Epidemie geschaffen. In den USA hat Übergewicht im letzten Jahr bereits das Rauchen als Hauptursache für vermeidbare Todesfälle abgelöst. Denn Fettbäuche und Speckröllchen sind die Vorboten oft tödlich verlaufender Krankheiten wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Fettstoffwechselstörungen, bestimmte Krebsarten und Diabetes. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann die Versicherungen hierzulande wie in den USA über Tarife für Risikopatienten diskutieren. Mittdreißiger leiden heute an Erkrankungen, die Ärzte vor 20 Jahren vielleicht bei 50-jährigen Patienten diagnostiziert haben, von den Folgen von Fettsucht bei Kindern und Jugendlichen ganz zu schweigen. Eine britische Untersuchung aus dem Jahr 2005 unterstreicht die Gefahr, dass »wir eine Generation aufziehen, die vor ihren eigenen Eltern sterben wird«. Im Jahr 2006 war der jüngste Altersdiabetespatient in Deutschland gerade mal sechs Jahre alt! Doch körperliche Degenerations- und Verschleißerscheinungen setzen nicht nur früher ein. Sie nehmen auch dramatischere Ausmaße an. Körperliche Erkrankungen, gekoppelt mit seelischen Leiden wie Depressionen, sind in den meisten Fällen Folgen eines falschen Lebensstils.
So stehen wir vor einer bizarren Entwicklung: Längst sind es nicht mehr akute Infektionskrankheiten, die die Gesundheit der Menschen bedrohen. Durch den breiten Einsatz von Medikamenten und Impfstoffen konnte die allgemeine Lebenserwartung in den letzten Jahrzehnten deutlich erhöht werden. Zur gleichen Zeit nahm jedoch die Sterblichkeit aufgrund vermehrt auftretender, chronischer und degenerativer Erkrankungen stark zu. Nur sind diesmal sind nicht Krankheitserreger die Schuldigen, sondern der individuelle, selbst gewählte Lebensstil der meisten Menschen. Eine Studie zur Altersforschung aus den USA belegt, dass die zunehmende Fettleibigkeit der Amerikaner deren durchschnittliche Lebenserwartung bereits jetzt um bis zu neun Monate gesenkt hat. Ein Trend, der sich in einigen Jahren auch bei uns in Europa abzeichnen dürfte. Schließlich gehen im deutschen Gesundheitswesen bereits ein Drittel der Kosten auf Krankheiten zurück, die auf Fehlernährung basieren. Das ehemalige Verbraucherschutzministerium bezifferte die Summe allein im Jahr 2005 auf satte 71 Milliarden Euro –Tendenz steigend.

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