Der Vitaminforschung wird seit Jahrzehnten große Aufmerksamkeit gewidmet, weil Vitamine lebenswichtige Abläufe im Körper steuern und ein Mangel schwere gesundheitliche Schäden bewirkt. Auch ihr Einfluss auf die Krebsentstehung ist überprüft worden.
Es zeigte sich, dass bei Verzehr von Obst und Gemüse, das reichlich Carotin, eine Vorstufe von Vitamin A, enthält, Tumoren an Lunge, Prostata und Harnblase sowie an den Verdauungsorganen Mundhöhle, Speiseröhre und Magen seltener auftreten. Carotine und Vitamin A besitzen (jeweils eigene) Schutzwirkungen gegenüber Zellen; Vitamin A stärkt auch direkt das Abwehrsystem.
Weiterhin ergab eine Reihe von Studien, dass bei Vitamin-C-reicher Nahrung Mund-, Speiseröhren, Magen- und Darmkrebs seltener auftreten. Vitamin C oder Ascorbinsäure ist an wichtigen Abläufen in Zellen und Geweben beteiligt, hilft Giftstoffe abzubauen und stärkt möglicherweise die Abwehrkräfte. Wie die Carotine und Vitamin A schützt es vor schädlichen Oxidationen. Dass Magenkrebs in vielen Ländern rückläufig ist, wird hauptsächlich der Wirkung von Vitamin C zugeschrieben, besonders, weil es die Bildung der krebserregenden Nitrosamine hemmt.
Eine zu geringe Versorgung mit Vitamin E scheint das Risiko zu erhöhen, an Lungen-, Magen- oder Darmkrebs zu erkranken. Vitamin E ist ebenfalls ein Wirkstoff, der Zellen vor Vergiftungen schützt. Größte Bedeutung hat es als Oxidationsschutzstoff für ungesättigte Fettsäuren (Linolsäure), es verhindert die Entstehung von gesundheitsschädlichen Peroxiden. Interessant ist, dass beim Verzehr von Obst und Gemüse die Ergebnisse eindeutiger waren, als wenn nur isoliertes Carotin verabreicht wurde. Dies spricht dafür, dass Carotin nur einer von vielen Inhaltsstoffen in Früchten und Gemüse ist, die den Körper vor schädlichen Reaktionen schützen. Diese so genannten sekundären Pflanzenstoffe sind noch wenig erforscht, weil sie für den Menschen nicht unmittelbar lebensnotwendig sind. Da einige davon gesundheitsschädlich sind (wie Solanin in grünen Kartoffeln) hat sich die Wissenschaft bisher mehr der Schadstoffproblematik gewidmet.
Inzwischen gibt es aber Erkenntnisse, dass zahlreiche sekundäre Pflanzenstoffe gesundheitsfördernde Wirkungen haben. Sie werden auch „vitaminähnliche Wirkstoffe“ genannt, weil sie semi-essentiell sind, das heißt wörtlich halb-lebensnotwendig. Angaben über empfohlene Mengen können derzeit noch nicht gemacht werden.
Stoffe, die vor Tumorentstehung schützen können, wurden in folgenden Pflanzen gefunden:
alle Kohlarten (Brokkoli wurde häufig erwähnt, weil viele Studien dazu in Amerika durchgeführt worden sind, wo Brokkoli verbreiteter ist als unsere traditionellen Kohlsorten), Kresse, Zwiebelgewächse (das heißt Zwiebel, Knoblauch, Schnittlauch, Porree), ferner Obst, Gemüse, Getreide, Kartoffeln, Kaffee, Tee, Zitrusfrüchte, Kümmel usw. Dabei handelt es sich um schwefelhaltige Stoffe (Indole), Gerbstoffe (Phenole), Carotinoide, Flavonoide und Terpene. Indole in Kohlgemüse fördern den Abbau von Östrogenen, so dass sie unter Umständen der Brustkrebsentstehung entgegengewirken.
In einem älteren Lehrbuch der Lebensmittelchemie von 1974 wird schon erwähnt, dass die Farbstoffe in der Schale von Tomaten, Äpfeln und Trauben, die zur Gruppe der Carotinoide und Flavonoide gehören, an Schutzfunktionen gegenüber aggressiven Oxidationsmitteln beteiligt sind: Sie schützen Vitamin C vor Oxidation sowie Fette vor Peroxidation. Was in der Lebensmittel- Chemie längst bekannt ist, findet in der Ernährung des Menschen erst jetzt Beachtung.
Heute wird es immer deutlicher, dass sekundäre Pflanzenstoffe (zum Beispiel pflanzliche Farb-, Duft- und Aromastoffe) auf verschiedene Weise gegen bösartige Wucherungen schützen können.
Der Zusammenhang ist folgender: Im Organismus und in der Zelle sind ganze Systeme vorhanden, die die Aufnahme von Sauerstoff oder Wasserstoff regeln. Es werden Elektronen, kleinste atomare Bestandteile, in ganz bestimmter Reihenfolge weitergegeben, man spricht von Redoxsystemen, Reduktion und Oxidation in einem System. So genannte freie Radikale, die zwischenzeitlich im Körper entstehen können oder aus Fremdstoffen stammen, sind sehr reaktionsfähige Moleküle (Peroxide, Zigarettenrauch, Luftverschmutzung, Ozon, Medikamente und so weiter). Sauerstoffradikale geben gerne Sauerstoff ab beziehungsweise entreißen anderen Substanzen Elektronen. Dadurch können bestimmte Abläufe in den Zellen empfindlich gestört werden.
Wenn zum Beispiel Vitamin C vor diesen unerwünschten Oxidationen schützt, lässt es sich de facto selbst oxidieren. Damit ist es unwirksam, kann aber von anderen Reduktionsmitteln wie die zuvor erwähnten Farbstoffe oder auch Vitamin E regeneriert werden. Auch bei Selen und Vitamin E besteht solch ein synergistischer Zusammenhang. Aus diesem Grund ist es wenig sinnvoll, einzelne „chemische“ Substanzen in großer Menge einzunehmen, wenn andere in dem Gefüge fehlen. Im übrigen sind viele der sekundären Pflanzenstoffe hitzeempfindlich, zum Beispiel die Indole im Kohl oder Phenole in Äpfeln und Erdbeeren. Die Empfehlung, viel Obst und Gemüse frisch und ungekocht zu verzehren, wird damit erneut unterstrichen.