Die Funktion der Nicotinsäure als essenzieller Nahrungsmittelbestandteil konnte erst Mitte des vorigen Jahrhunderts bestätigt werden. Eine lange Zeit unerklärbare Hautkrankheit, die mit einer einseitigen Maisernährung im Zusammenhang stand, Pellagra, eine Dermatitis, konnte eindeutig als Nicotinsäuremangel identifiziert werden. Hauptsächlich an Stellen der Haut, die dem Licht ausgesetzt sind, bilden sich nach zuerst auftretenden roten Erythemen braune Pigment-Flecken (pélla ágra = Haut-Gicht). Es kommt auch zu Entzündungen der Schleimhäute des Mundes und der Zunge sowie des gesamten Verdauungstraktes, bis zur Entwicklung einer Fettleber sowie zu Störungen im Zentralnervensystem. Pellagra kann letzten Endes den Tod zur Folge haben, die Symptome sind aber durch Gaben von Nicotinsäure weitgehend behebbar. Nicotinsäure ist in der Regel für den Magen-Darm-Trakt besser verträglich als Nicotinsäureamid. Ein Mangel an Coenzymen (NAD+, NADP+) kann im Zusammenhang mit Stress und Krankheit auftreten. Poly-ADP-Ribose, auch bei Gesunden ein Bestandteil von Zellkernen, wird im Fall von Krankheit vermehrt gebildet. Wahrscheinlich wird, induziert durch OH-Radikale und dadurch verursachte Strangbrüche der DNS, das Enzym Poly-ADP-Ribose-Synthetase stimuliert. Dieses Enzym katalysiert die Bildung von Poly-ADPRibose aus NAD. Bei der Reaktion wird Nicotinsäureamid aus dem Coenzym abgespalten und freigesetzt, und die verbleibenden AdenosinDiphosphorylreste werden miteinander NAD und in letzter Konsequenz zum Zelltod.
In Lebensmitteln liegen NAD und NADP, gebunden an Enzyme, vorwiegend in oxidierter Form vor. Im Stoffwechsel kann Nicotinsäureauch aus der Aminosäure Tryptophan biochemisch synthetisiert werden. Tryptophan ist daher auch als Provitamin der Nicotinsäure zu betrachten. Die Rolle der Nicotinsäure als dialysierbarer Bestandteil von Enzymen mit einem Extinktionsmaximum von 250 nm wurde um 1900 im Laufe von Untersuchungen des Glucoseabbaus durch Hefe entdeckt.
Wegen seiner zentralen Bedeutung im Redoxsystem aller Organismen ist Nicotinsäure in allen Lebensmitteln enthalten. Die reichste Quelle (32 mg/100 g) ist theoretisch gerösteter Kaffee, wo während des Röstvorganges das vorhandene Trigonellin (N-Methyl-3-carboxypyridiniumchlorid) nach thermischer Abspaltung von Methylchlorid in Nicotinsäure übergeführt wird. Nicotinsäure kommt auch im Fleisch (5 mg/100 g), in Erbsen (3 mg/100 g), vor allem in den äußeren Schichten von Getreide und in der Hefe vor. Aus Mais kann die Nicotinsäure nur sehr schlecht resorbiert werden, da wahrscheinlich der hohe Gehalt an hydrophoben aliphatischen Aminosäuren des Maiseiweißes antagonistisch auf die Nicotinsäureresorption wirkt.