Es ist nämlich nicht nur von Bedeutung, ob pflanzliche oder tierische Eiweiße verzehrt werden, sondern viel wesentlicher ist, in welchem Umfang ein Eiweißverzehr überhaupt stattfindet.
So werden sehr verschiedene Angaben gemacht. Die Weltgesundheitsorganisation spricht davon, daß eine Mindestbereitstellung von 0,3, besser 0,5 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht und Tag gewährleistet sein sollte, um Krankheiten zu vermeiden. Nur nebenbei sei angemerkt, daß dies in vielen Entwicklungsländern bei weitem nicht immer der Fall ist, so daß jährlich viele Millionen Menschen, vor allem Kinder, verhungern müssen.
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung hält eine Eiweißzufuhr von mindestens 0,7, bei Kindern und älteren Menschen von 0,9, ja bis zu 1,2—1,3 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht und Tag für notwendig. Leistungssportler sollen 1,2, 1,5, 2,0 bis 2,5 und 3,0 Gramm und mehr pro Kilogramm Körpergewicht und Tag an Eiweiß zu sich nehmen, (je nach Autor, Sportart, Alter und Trainingsumfang), eine Riesenmenge, wenn berücksichtigt wird, daß gerade bei Kraftsportlern das Körpergewicht ja ohnehin weit über die Norm erhöht ist. Diese Sportler verzehren dann anstatt 70 bis maximal 90 Gramm Eiweiß pro Tag 300 und 400 Gramm Eiweiß pro Tag und mehr nach Prof. Dr. Wendt in Frankfurt. Ein wichtiger Faktor für eine Verringerung der Kapillarpermeabilität (d. h. der Durchgängigkeit von Nahrungsstoffen durch die Gefäßwände) und damit einer der wichtigsten Entstehungsfaktoren für viele ‚moderne‘ Krankheiten, wie Herz- Kreislaufkrankheiten, rheumatische Erkrankungen und Stoffwechselerkrankungen ist damit gegeben.
Der Verbrauch an Eiweiß hat in den letzten Jahrzehnten sehr stark zugenommen, insbesondere von Fleisch und Eiern. Hülsenfrüchte, Fische und Milchprodukte sind etwa konstant im Verbrauch geblieben. Bei der Zunahme des Fleischverzehrs auf derzeit knapp 100 kg pro Person und Jahr in der Bundesrepublik (davon überwiegend Schweinefleisch, das ohnehin als weniger gesund angesehen wird) scheint die Zunahme von vielen Krankheiten fast eine natürliche Folge.
Aus meiner Erfahrung im Zusammenhang mit dem Umgang mit Sportlern möchte ich an dieser Stelle auch erwähnen, daß ich mich des Eindrucks nicht mehr erwehren kann, daß viele Überlastungserscheinungen im Bereich des passiven Bewegungsapparates (Sehnen, Bänder, Gelenke, Knorpel, Knochen) wie auch Verletzungen im modernen Hochleistungssport oft im Zusammenhang mit einer Eiweißmast zu sehen sind. Bei Sporttreibenden, die sich mit weniger Eiweiß begnügen, treten solche Überlastungserscheinungen in sehr viel geringerem Umfang auf. Weitere Forschungen werden hier hoffentlich bald Klarheit bringen. Auch zum Wohle der Sportler. Die Eiweißmast, wie sie in den vergangenen Jahren von Medizinern für Leistungssportler gefordert wurde, vielleicht gar noch angereichert durch die Zugabe von Anabolika, war jedenfalls nicht zum Wohle des Sportlers, sondern höchstens eine Möglichkeit zur schnellen Leistungssteigerung und zum Medaillengewinn mit nachfolgendem starken Leistungsabfall und Krankheitsentwicklung. Die Gesundheit der Sportler wurde hier in aller Regel wenig berücksichtigt.
Nur am Rande sei hier erwähnt, daß der hohe Fleischverzehr auch mit einem erhöhten Energieaufwand einhergeht — einem sehr aktuellen Thema in unserer Zeit der Energieverknappung an natürlichen Ressourcen. Mit derselben Menge Getreide, mit der direkt 10 Menschen ernährt werden könnten, kann über den Umweg Fleisch nur l Mensch ernährt werden. Das mag für mitteleuropäische Verhältnisse keine größere Rolle spielen, aber bei der Betrachtung der gesamten Welternährungslage könnte hier viel Gutes bewirkt werden.