Die Diskussionen darüber, welches Fett nun das gute und welches das böse sei, erscheinen mitunter recht bizarr. Einen ganz besonders peinlichen Eiertanz konnte man unlängst rund ums Olivenöl beobachten. Jahrelang wurde es aufgrund seiner Fettsäurenzusammensetzung den tierischen Fetten gleichgestellt, noch vor fünf Jahren nachdrücklich davor gewarnt. Doch als die Vorzüge der Mittelmeerkost nicht mehr zu leugnen waren, konnte man nicht mehr umhin, dem ungeliebten Olivenöl herzschützende Eigenschaften zuzuschreiben – trotz der »falschen« Fettsäuren. Pech gehabt, wer sich in der Vergangenheit auf das Urteil der Experten verlassen hatte. Und weil nach der Theorie einzig und allein die Fettsäuren über das Infarktrisiko entscheiden, wurden die bislang ungesunden Fettsäuren in Olivenöl einfach für gesund erklärt!
Aber wer weiß, vielleicht sind die einfach ungesättigten Fettsäuren gar nicht die Herzschutz-Apostel? Vielleicht liegt’s schlicht daran, daß in den Mittelmeerländern kaum Diätmargarine gegessen wird … Noch plausibler erscheint ein ganz anderer Faktor: Olivenöl enthält Oleuropein. Es gehört zur Stofiklasse der Iridoide, die auch in vielen Heilkräutern vorkommen, zum Beispiel in Baldrian, Augentrost oder Enzian. Es war eine echte Sensation, als Professor V. Petkov aus Sofia im Jahr 1972 seine Forschungsergebnisse veröffentlichte: Bereits die geringe Menge von zehn Milligramm Oleuropein pro Kilogramm Körpergewicht senkte bei Versuchshunden den Blutdruck um 60 Prozent! Die Substanz fördert die Durchblutung des Herzens, erweitert die Herzkranzgefäße, beseitigt Herzrhythmusstörungen und wirkt zudem krampflösend.
Oleuropein ist eine sehr reaktive Substanz, die sich in eine ganze Palette weiterer Wirkstoffe wie Ligstrosid, Verbascosid oder Dihydroxyphenyl-ethanol (DPE) umwandeln läßt. Letzteres gilt mittlerweile ebenfalls als Kandidat für die positiven Effekte des Olivenöls. Dennoch wurde dieser erfolgversprechende Weg nicht weiter beschritten. Wahrscheinlich beruht das Desinteresse darauf, daß sich die Wirkstoffe der Olive nicht in der üblichen Weise kommerziell nutzen lassen: Einerseits ist der Schutz des Herzens durch Olivenöl inzwischen bekannt, so daß kein Patent darauf erteilt werden könnte;
andererseits finden sich diese Stoffe genaugenommen in jeder Flasche guten Olivenöls. Oleuropein- oder DPE-Tabletten wären allenfalls ein Konkurrent für den boomenden Markt teurer Herzmittel.
Aber weniger die Pharmaindustrie, eine ganz andere Interessengruppe muß diese Erkenntnisse fürchten: die Fettwirtschaft. Denn Begleitstoffe wie Oleuropein finden sich nur in traditionell hergestellten, nicht aber in raffinierten ölen. Die Fettwirtschaft, egal, ob sie Pflanzenöle oder Margarine verkauft, ist auf raffinierte öle angewiesen. Ohne Raffination keine Margarme – auch nicht im Reformhaus oder Bioladen. Dabei werden zwangsläufig praktisch alle Begleitstoffe entfernt. Sollten sich diese Begleitstoffe als entscheidende Modulatoren der Fettwirkung erweisen, trifft es die Fettwirtschaft am Nerv. Wer also diesen Markt behalten will, tut gut daran, das medizinische Publikum mit Fettsäure-Hypothesen abzulenken.