Der Darm ist ein ähnlich missverstandenes »Wesen« wie die Ballaststoffe. Keinesfalls ein tumber Kanal, der mit hartem Faserbesen ausgekehrt werden muss, wie viele Naturheilkundler glauben, wenn sie ihren Patienten ballaststoffreiche Kost empfehlen, um deren Darm »mechanisch zu reinigen«. Im Gegenteil, der Darm ist ein mit einer feinen Schleimhaut ausgekleidetes, hochsensibles Organ, bei dem ein solches Ansinnen nicht unbedingt auf Gegenliebe stößt. Er beherbergt zusätzlich zahlreiche Untermieter, die Darmflora, mit der er arbeitsteilig in lebenslanger Symbiose lebt. Gegen Kost und Logis unterstützt sie den Darm nicht nur beim Verdauen, sondern steht auch an vorderster Front bei der Abwehr von Krankheitserregern und liefert ihrem Vermieter, dem Menschen, darüber hinaus auch ein paar wichtige Nährstoffe.
Wenn es um die Ballasts Tone geht, hängt alles an diesen Untermietern. Denn die Verdauungssäfte des Menschen vermögen ihnen nichts anzuhaben. Anders die Darmflora: Sie ist in der Lage, einen Teil der Ballaststoffe zu kurzkettigen Fettsäuren abzubauen. Kommen jedoch zu große Ballaststoffmengen auf einmal an, ist auch eine gesunde Darmflora bald überfordert. Statt einer geregelten Verdauung entstehen nicht nur unerwünschte, weil »sozial unverträgliche« Darmgase, sondern auch giftige Gärungsalkohole, die auf Dauer die Darmschleimhaut und das Immunsystem schädigen.
Bis vor wenigen Jahren glaubte man, dass sich der Reizdarm (irritables Kolon) durch eine ballaststoffreiche Ernährung therapieren ließe. Inzwischen wurde man eines Besseren belehrt. Beispielsweise kam es in einer Studie mit 100 Patienten nur bei zehn durch Weizenkleie zu einer Verbesserung ihrer Symptome, während 55 über eine Verschlimmerung klagten. Der Verzehr von Müsli nützte niemandem, aber schadete fast einem Drittel der Patienten. Nicht viel anders bei Obst, vor allem Zitrusfrüchten. Mittlerweile stehen Ballaststoffpräparate im Verdacht, eine Ursache des Reizkolons zu sein. Aus biologischer Sicht kommt diese Erkenntnis alles andere als überraschend:
Ballaststoffe enthalten reichlich pflanzliche Abwehrstoffe. Diese reizen den Darm und können Entzündungen verursachen.
Ballaststoffe stehen auch im Verdacht, Osteoporose zu fördern. Bei Frauen, die im Rahmen einer Abmagerungskur täglich 28 Gramm Ballaststoffe (das ist immer noch weniger, als die Deutsche Gesellschaft für Ernährung als Minimum für den Erwachsenen empfiehlt) zu sich nahmen, wurde nach mehrmonatigem Gebrauch eine deutliche Verminderung der Knochendichte beobachtet. Ob dies nur eine Folge des Gewichtsverlustes ist oder mit den Ballaststoffen zusammenhängt, ist noch nicht geklärt. Gesichert ist aber, dass manche Ballaststoffe durch die Bindung von Mineralstoffen den Mineralstoffhaushalt des Körpers nachteilig beeinflussen können. Davon betroffen sind vor allem Calcium, Magnesium, Zink und Eisen.
Menschen, die ihrer Verstopfung mit Ballasts Tonen zu Leibe rücken, müssen zudem mit einem Gewöhnungseffekt rechnen, wie bei anderen Abführmitteln auch. Das heißt, immer größere Mengen werden nötig, um die gleiche Wirkung zu erzielen. In extremen Fällen kann es dazu kommen, dass der Darm nicht mehr zu reagieren vermag und die aufquellenden Ballaststoffe große Klumpen (sogenannte Bezoare) bilden oder gar einen Darmverschluss verursachen. Gefährdet sind vor allem Menschen, die schon andere Abführmittel im Übermaß benutzt haben oder bei denen aufgrund von Erkrankungen (zum Beispiel Diabetes) oder Medikamenten (zum Beispiel Psychopharmaka) die Darmbeweglichkeit herabgesetzt ist.